Spätis am Hassel

Zwischen Kultur und Gewalt im Magdeburger Nachtleben

Es geht um Gewalt, Alkohol und Einwanderer. Der Hasselbachplatz gilt als Brennpunkt im Nachtleben der Stadt. Die Diskussion um politische Lösungen kommt nicht voran. Die Ursachen für das Problem sind zu vielfältig. Zeit für einen Wechsel der Perspektive. Zeit für eine Nacht in einem Hasselbacher Spätshop. von Hannes Kuehn

Späti Aussenansicht

City-Shop am Hasselbachplatz

Nirgendwo sonst in Magdeburg befinden sich so viele Bars an einem Ort, wie am Hasselbachplatz. Der Platz ist das Zentrum für das Magdeburger Nachtleben. Hier kreuzt sich alles. Nicht nur Straßenbahnen, Busse und Autos im Verkehr, sondern auch die verschiedensten Menschen der Stadt. Für jeden ist was dabei. Teure Cocktails, internationales Bier oder billiger Fusel. Bar, Kneipe oder Disco. Alkohol gibt es an jeder Ecke und für jeden Preis. Und Stress gibt es auch. Seit ein paar Jahren gilt der Hasselbachplatz als Kriminalitätsschwerpunkt. Immer wieder berichten Medien über Schlägereien, Ausschreitungen gegen die Polizei und Gewalt zwischen Einwanderern und weißen deutschen Menschen. Ich will meine Perspektive verändern und das ganze aus einem anderem Blickwinkel betrachten. Aus einem Spätshop. Niemand sonst am Hassel ist näher an der Straße dran und hat länger das Nachtleben beobachtet, als die Betreiber der Spätis.

Freitag Abend, 21:30 Uhr. Ein ganz normaler Tag, eine ganz normale Uhrzeit um am Hasselbachplatz etwas trinken zu gehen. Ich treffe mich mit Maslum Isik. Der 22-jährige betreibt zusammen mit seinem Onkel und seinem älteren Bruder den City-Shop. Ein typischer Späti am Hassel, geöffnet von 11 Uhr morgens bis 4 Uhr nachts. Zu kaufen gibt es vor allem Getränke, Tabak und Zigaretten. Die Auswahl reicht von Limos, über Bier und Sekt bis hin zu hartem Alkohol. Der Laden läuft gut.

Getrunken wird am Hasselbachplatz sehr viel. Die meisten Menschen, die Abends dort unterwegs sind, in den Bars und auf der Straße, sehe ich mit einer Bierflasche oder anderem Alkohol in der Hand. Regelmäßig an dem Abend höre ich, wie auf der Straße vor dem Laden eine Flasche auf dem Boden zerschlagen wird. Viele Menschen sind betrunken. Einige kommen immer wieder und kaufen Nachschub. Noch ein Bier, noch eine Schachtel Zigaretten. Ein Mann kommt an diesem Abend fünf bis sechs Mal in den Laden. Seine Augen und sein Gang zeigen, dass er nicht mehr nüchtern ist. Alkohol ist für den Hasselbachplatz ein Problem. Zumindest ist das die Ansicht des Bürgermeisters der Stadt. Wenn es nach ihm ginge, würde er die Spätis stärker regulieren. Nicht mehr die ganze Nacht offen und ab 22 Uhr kein Alkohol mehr. Betrunkene Leute sind aggressiv und neigen dazu sich zu schlagen. Das vergiftet das Klima am Hassel.

Finni, ein Freund von Maslum, quatscht mit uns ein paar Minuten im Laden. Auch er erzählt mir, wie einige seiner Freunde, gerade die Frauen in seinem Freundeskreis, abends nicht mehr gerne über den Hasselbachplatz gehen. Eine Aussage, die ich auch schon öfters gehört habe. Nachvollziehbar. Auf den ersten Blick sieht es gerade nachts am Hasselbachplatz nicht sehr einladend aus. Die Laternen tauchen die Straßen zwischen den alten Häusern aus der Gründerzeit in dunkles, oranges Licht. Vereinzelt größere und kleine Gruppen von Menschen, die auf der Straße trinken. An der einen Ecke sitzen drei Obdachlose und sind ziemlich besoffen. Finni sagt dennoch, es sei manchmal sehr ruhig abends. Mehrere Jahre wohnt er bereits hier. Er erzählt mir auch, der ganze Platz sei komplett videoüberwacht. Auf jede Ecke ist eine Kamera gerichtet. Das Videobild werde die ganze Nacht von Menschen der Polizei überwacht, sagte eine Bekannte, die dort arbeite, zu ihm. Und auch das Ordnungsamt und die Polizei stehen häufig an einigen Ecken mit einem Wagen und beobachten die Lage. Die Polizeipräsenz ist deutlich spürbar. So auch an diesem Abend. Wenn etwas passieren würde, könnten sie sofort einschreiten. „Das hat auch was gebracht. Die Leute schlagen sich immer noch, aber seitdem die Polizei da steht, ist es weniger geworden”, sagt Maslum. Polizei und Videoüberwachung scheint allerdings nicht die Lösung für das Problem zu sein. Von einer Regulierung der Spätis, wie der Bürgermeister es vorschlägt, hält Maslum aber nicht viel. „Alkohol ist nicht das Problem. Klar, wenn die Leute besoffen sind, schlagen sie aufeinander ein, aber wenn sie hier nichts kaufen können, bringen sie sich einfach welchen mit oder gehen woanders hin.”

Die Entwicklung am Hasselbachplatz beobachten er und sein Familie schon sehr lange. Mitte der 90er Jahre kamen seine Eltern aus der Türkei nach Deutschland. Maslum selbst wurde '97 in Magdeburg geboren. 2001 eröffnete sein Vater seinen ersten Laden am Hasselbachplatz. Vor 5 Jahren machte sein älterer Bruder dann den City-Shop auf. Als dieser für einige Zeit aus dem Geschäft ausstieg, übernahm Maslum den Laden. Eigentlich wollte er eine Ausbildung zum KFZ-Mechatroniker machen. Nach 6 Monaten hat er wegen rassistischer Äußerungen seiner Kollegen ihm gegenüber abgebrochen. „Es hat schon ziemlich viel Spaß gemacht. Ich wollte unbedingt was mit Autos machen. Meine Kollegen haben dann irgendwann mit dem, was sie gesagt haben, eine Grenze überschritten.” Immer wieder werde er auch vor seinem Laden von Leuten auf der Straße angepöbelt, sagt er. „Da steigen dann nachts Leute hier aus der Bahn und singen so bestimmte Lieder. Du weißt, welche ich meine, oder?” Rassismus ist am Hasselbachplatz definitiv ein Problem. Immer wieder stehen Einwanderer und hauptsächlich schwarze Menschen im Mittelpunkt der Diskussion, wenn es um Kriminalität am Hassel geht. Einige Ladenbesitzer in anliegenden Geschäften sind in der Vergangenheit häufiger mit rassistischen Äußerungen aufgefallen. Angeblicher Grund: Die Einwanderer fangen mit Stress an.

So richtig mit den Problemen begonnen habe es 2014, 2015 mit der Flüchtlingskrise, sagt Maslum. „Es gab vorher schon Stress, aber dann wurde es mehr. Die fangen nicht damit an, versteh mich da nicht falsch. Da kommen ein paar Rechte um die Ecke und suchen Stress mit den Migranten. Und dann heißt es immer Flüchtlinge hier, Flüchtlinge da. Von denen sind aber auch nicht alle friedlich. Es geht von beiden Seiten aus.” Dazu kommt dann noch der Alkohol. „Natürlich gibt es Stress zwischen Migranten und Deutschen, weil die Leute besoffen sind. Nüchtern sind die ganz anders drauf. Zum Beispiel der hier...”, und reicht dem Mann, der immer wieder in den Laden kommt und schon sichtlich super betrunken ist, eine Zigarette. Ich frage ihn, ob er irgendwann den Leuten nichts mehr verkauft, wenn sie zu voll sind. „Damit habe ich mir eine Menge Ärger eingehandelt. Früher war ich viel zu korrekt und hab schon mal gesagt, wenn es eigentlich zu viel ist. Die Leute sind dann aggressiv geworden und haben Stress gemacht. Einige Male habe ich mich mit denen deswegen auch geschlagen.” Bei einer Versammlung zwischen den Ladenbesitzern und der Stadtverwaltung sei darüber gesprochen worden, dass die Spätis mehr darauf achten sollen, den Leuten nicht übermäßig viel zu verkaufen, sagt er. „Ich habe denen Klipp und klar gesagt, ich mache das nicht mehr. Das bringt mir nur Ärger ein. Wenn jemand hier in den Laden kommt und was kaufen will, mache ich das auch. Wer bin ich denn, dass ich den Leuten verbieten kann, keinen Alkohol mehr zu trinken.”

Eine Gruppe ziemlich jung aussehender Mädchen kommt in den Laden. Ich merke, dass auch sie schon leicht angetrunken sind. Eine von ihnen fragt Maslum, ob er ihren Ausweis sehen will. Er sagt nichts. „Sie hier fragt mich jedes Mal, ob ich ihren Ausweis sehen will. Ich hab den schon gesehen. Ich weiß, dass sie 17 ist und Bier kaufen darf. Einmal habe ich ihr das auch eindeutig gesagt, aber sie fragt jedes Mal. Das nervt richtig.” Damit hat er dann auch meine offene Frage zum Thema Jugendschutz beantwortet. Ich frage ihn, ob er eine Lösung für das Gewaltproblem sieht. „Überall gibt es solche Orte wie den Hassel. Wenn es euch nicht passt, zieht aufs Dorf. Die ganze Welt hat es nicht geschafft solche Orte wie hier unter Kontrolle zu kriegen. Da wird Magdeburg das auch nicht schaffen.”

Verkäufer

Maslum Isik
Vor dem Laden komme ich mit einem schwarzen Mann, der sich ein Bier im Laden gekauft hat, ins Gespräch. Er wirkt sehr skeptisch mir gegenüber und will er nicht wirklich reden. „Have you ever been to Rome?”, fragt er mich. Nein, war ich nicht. „Behave like Romans do. That's what I do.” Ich frage ihn, wo er das Problem am Hassel sehe. „It's the mentality of the people here.” Er sagt, die Leute riefen wegen jeder Kleinigkeit die Polizei. Ich vermute, dass das für viel Stress und Provokation sorgt. „We are no troublemakers, we are peacemakers”. Er wirkt verärgert. Ich versuche ihn vorsichtig zu fragen, wie er zu dem Vorwurf von Rechten stehe, Einwanderer seien Grund für die Probleme hier. Kein kluger Zug von mir. Damit habe ich eine Grenze überschritten. „A black man in white community. What do you expect?” und dreht sich um und geht. Ich verstehe, dass er nicht offen reden will. Würde ich auch nicht, wenn mich irgendein Fremder auf der Straße nach meinen Ausgrenzungserfahrungen fragen würde. Ich habe keine und wahrscheinlich macht es mir das unmöglich, seine Erfahrungen nachzuvollziehen. Ich kann es nur versuchen.

Es ist mittlerweile halb eins. Maslum fragt mich, ob ich noch was trinken möchte. Bis um 4 wird er noch im Laden sein. Um 11 Uhr früh macht er dann wieder auf. Am Ende meines Abends hab ich das Gefühl, einen neuen Blick auf den Hassel bekommen zu haben. Alkohol ist definitiv ein Katalysator für die Schwierigkeiten hier, das Kernproblem kommt aber woanders her. Es wirkt wie eine Abwärtsspirale. „Es kommen immer mehr Menschen hierher. Hier treffen so viele Menschen und Kulturen aufeinander. Viele haben lange in ihrem Land gelebt und sind ganz anders groß geworden. Hierher zu kommen bedeutet eine völlige Umstellung”, sagt mir Masum, der ältere Bruder. „Natürlich kommt es da zu Problemen. Vielen fehlt es an Einsicht den anderen gegenüber.” Für mich scheint das der Grund für die Auseinandersetzungen am Hassel zu sein. Keiner will sich so richtig auf den anderen einlassen. Beide Seiten sind verärgert, Frust baut sich auf. Dagegen anzugehen ist schwierig. Seit ein paar Jahren versucht ein Verein rund um den Hasselbachplatz mit kulturellen Veranstaltung der Barmeile wieder ein positives Image zu geben. Die Unterschiede zwischen den Menschen wird das nicht auflösen, aber vielleicht kommen die Leute so besser zueinander und lernen sich gegenseitig zu verstehen.

Was den Hassel ausmacht, ist die Vielfalt. Die Vielfalt an Bars, Kneipen, Discos und der Menschen. Die Menschen alle gleich zu machen würde bedeuten, auch diese Vielfalt zu bekämpfen. Dann wäre der Hassel nicht mehr der Hassel. Und wenn man schon nicht die Unterschiede der Menschen ausgleichen kann, dann doch lieber in etwas Positives verwandeln und die Vielfalt genießen. Zusammen trinken macht eh mehr Spaß.

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